„Der könnte im wirklich aufklärerischen Sinne ein paar Luftballons zum Platzen bringen…“

Hans Rusinek zur Rolle des Chief Philosophy Officer – ein Auszug aus dem Gespräch

 

Sören E. Schuster: Der Chief Purpose Officer hätte ja vielleicht einige Schnittstellen mit dem Chief Philosophy Officer! Ich erinnere mich gut, dass du digital dabei warst, als ich im Rahmen eines Werkstattgesprächs am Institut für Wirtschaftsgestaltung ein erstes Mal den CPO ins Gespräch gebracht habe. Dadurch hattest du also einen sehr speziellen ersten Eindruck der Rolle, weil mein Vortrag damals eher ein philosophisches Gedankenspiel war. Was waren aber deine ersten Assoziationen zur allgemeinen Idee?

Hans Rusinek: Du weißt ja, ich bin eher einer, der das als eine Provokation sieht. Eine gute und hilfreiche Provokation. Wenn man den CPO als sofort umsetzbare Idee sieht, dann hat man entweder Philosophie oder Wirtschaft nicht verstanden. Oder sogar beides nicht! Ein Chief Purpose Officer wäre ja eher eine Art von Meaningful Work oder Ethik Officer. Aber Philosophie – das hat mich ein bisschen irritiert, weil ich mich als erstes gefragt habe: Ist das ein Epistemologe? Es wäre super interessant, zu fragen, wie mit Wissen in Unternehmen umgegangen wird. Oder ist das eine Ethikerin oder vielleicht ein Rechtsphilosoph? Das könnte ja auch sein… Und dann war meine Intuition, dass das eher ein Querschnittsthema ist. Es gibt ähnliche Debatten um den Chief Digital Officer und momentan interessanterweise auch über das Digitalministerium. Brauchen wir so etwas? Nein, eigentlich wollen wir das nicht so insular strukturieren! Das sollte eigentlich doch eine Querschnittsfunktion sein. Auch das Marketing oder Sales Team muss ein bisschen Philosophy Officer sein. Das war mein erster Gedanke: Wieso sollte man eine Person damit überfrachten?

 

Als Querschnittsthema wäre dieser CPO, wenn man ihn als Rolle abgesondert denkt, dann also eher mit der Gesamtheit beschäftigt und nicht nur mit einem isolierten Bereich. Vielleicht könnte man auch sagen, dass es um ein holistisches Anliegen geht?

Genau. Ich glaube wir hatten das im Werkstattgespräch auch so besprochen. Es würde am ehesten Sinn machen, wenn der CPO der Eigentümer der Organisation ist. Dann ist es ja wieder etwas wie ein Querschnittsthema. Oder es müssten eben alle Menschen in der Organisation diese Funktion haben. Das Schöne an der CPO-Provokation ist, dass es ganz oben aufgehängt wird. Und dass das ein Chief ist, ein Officer, dass damit Autorität verbunden ist. Die kann natürlich untergehen, wenn man sagt, dass das eine Weiterbildungsmaßnahme ist, die ein Wochenende dauert. Dahinter steckt ja das Problem: Philosophisches Denken findet in Organisationen nicht so richtig Raum. Und das ist ein Problem, das ich sehr stark teile.

 

Und das scheint ja, wenn ich dir da folge, ein systematisches Problem zu sein. Im Artikel Arbeit und Sein – Von Sinndruck, Purpose und hybrider Arbeit unterscheidest du zwischen dem Unternehmen als Profitmaximierungsmaschine auf der einen Seite und der Möglichkeit eines organischen Unternehmens auf der anderen Seite unterschieden hast. Man hört das ja oft, nicht nur in der Akademie: Philosophie und Wirtschaft widersprechen sich doch im Grunde. Warum ist das Unternehmen mehr, oder warum könnte es mehr sein?

Also ich glaube, dass die Wirtschaftstheorie und die Praxis der Organisationen sehr verschieden ist. An manchen Stellen gibt es da große Klippen. Ich glaube, dass wenn Organisationen wirklich so handeln würden, wie es in der wirtschaftlichen Theorie angelegt ist, dann wäre das gar nicht so ein Problem. Es gibt bestimmte starke Management Diskurse, die Wirtschaftsunternehmen im Grunde davon abhalten, im eigentlichen und auch im ethischen Sinne zu wirtschaften. Ich meine damit zum Beispiel diese Idee von isolierten Shareholder-Maximierungsmaschinen, die du angesprochen hast. Das ist eine autistische Perspektive auf Organisationen, die nur auf einen Output orientiert ist. Das ist aber kein nachhaltiges Wirtschaften, in keiner Art und Weise! Wir sind in komplexen adaptiven Systemen, wo so ein Verhalten gar nicht funktionieren würde oder nicht lange funktionieren kann. Braucht ein Unternehmen dafür dann die Philosophie? Im Grunde genommen müsste es einfach nur ein anständiger Unternehmer sein, der das versteht.

Das zeigt sich auch in weiteren Phänomenen, etwa der “glorification of busy”, der Gehetztheit in Organisationen. Das ist eine organisatorische Praxis, die ökonomisch nicht sinnvoll ist. Wenn ich in Unternehmen 10 Stunden an einem Problem sitze, das ich wirklich verstehen und für die Organisation lesen möchte, ist es dabei weitem nicht so akzeptiert, wie wenn ich sage: “Ich habe sechs Calls gemacht.” Im eigentlichen ökonomischen Sinne ist das extrem unökonomisch. Das heißt, es gibt sehr viel in großen Konzernen, was nicht wirtschaftlich genug ist. Ich krieg da fast so eine Friedman-Position rein. Aber wenn die Wirtschaft sich selbst mehr ernst nehmen würde, was Vernetzungen im Großen angeht, aber auch Reflexionsräume im Kleinen, dann wäre das ein Gewinn.

Dafür können wir einen CPO nehmen; philosophische Gedanken können da die richtige Provokation sein. Aber eigentlich bräuchte es dafür keinen! Um zu verstehen, dass wir in einer Wissensökonomie leben, dass wir Reflexionsräume und Zeit brauchen, um Dinge anständig zu entscheiden, die über ein “Weiter so” hinausgehen… Das liegt eigentlich auf der Hand. Dann sieht man gleichzeitig aber Studien, wie viel Zeit ein CEO hat um nachzudenken oder zu lesen… Oder auch wie sehr fehlende Pausen zu Missmanagement führen. Da gibt es extrem viele schreckliche Studien, die zeigen, dass die Realität der Unternehmen eine nicht im guten Sinne unternehmerische ist. Die stehen sich aufgrund bestimmter Normen selbst im Weg. Ein anderes Thema ist, dass im mittleren Management ein Maßstab meines Erfolgs die Anzahl der Menschen ist, die ich unter mir habe. Die Wirtschaft redet so viel von Effizienz. Dabei ist das überhaupt nicht effizient, was da betrieben wird! Das hat eher etwas mit Signaling zu tun, mit Darstellungsspielen. Insofern ist das, was wir in Unternehmen sehen, manchmal eher eine Art schräges Theater. Und da würde eigentlich ein kluger Betriebswirt reichen, um das aufzudecken, um zu sagen: Das sind soziale Institutionen, die ganz massiv gegen gutes Wirtschaften stehen.

Hans Rusinek
Hans Rusinek forscht, berät und publiziert zum Wandel der Arbeitswelt. An der Universität St. Gallen forscht er zur Sinnfrage in Organisationen. Er erfüllt außerdem einen Lehrauftrag zu „Future of Work“ an der Fresenius Universität in Hamburg und ist Fellow im ThinkTank30 des Club of Rome. Bis 2020 war er Strategiedirektor und erster Mitarbeiter der Purpose-Beratung der Boston Consulting Group, BrightHouse. Zudem beteiligt er sich publizistisch an Debatten zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, etwa in BrandEins, Capital, DIE ZEIT, ThePioneer oder Deutschlandfunk, wofür er 2020 den Förderpreis für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung bekam. Hans Rusinek studierte VWL, Philosophie und Politik an der London School of Economics und in Bayreuth, sowie Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut.