Wolf Dieter Enkelmann zur Rolle des Chief Philosophy Officers – ein Auszug aus dem Gespräch
Sören E. Schuster: Nach gewöhnlichem Verständnis werden unternehmerische Interessen ja auf Profitmaximierung reduziert…
Wolf Dieter Enkelmann: In solchen Verhältnissen fällt die Wahrheit als erstes hintern runter. Was bleibt ist die Moral, weil man daraus ein Geschäft machen kann. Wie gesagt, wenn man im Unternehmerischen wirklich mit Philosophie kommen will, muss man eine Idee haben.
Was ich immer wieder höre, ist, dass man sich für Wirtschaftstheorie interessieren müsse. Davon rate ich eher ab. Sich überhaupt nicht für Ökonomie zu interessieren, das geht natürlich nicht. Doch entscheidend ist etwas anderes. Das ist, wie gut man die philosophische Ökonomik kennt. Wer da etwas weiß, kann auf Augenhöhe mitreden. Und da gibt es weit mehr als nur Karl Marx.
Die Philosophie ist aus ihren Anfängen heraus ja unterteilt in – wenn ich etwa an Aristoteles denke – Naturphilosophie, Metaphysik, Ethik, Politik, Rhetorik und Poetik. Einzig die Ökonomie, die qualifizierte Wirtschaftstheorie, gibt es nicht. Ich meine, dass das in gewisser Weise nicht stimmt. Meine Forschungen haben gezeigt, dass die Philosophie vor allem aus ökonomischen Gründen erfunden wurde. Ich gehe sogar soweit, zu sagen, dass die Philosophie insgesamt die Ökonomie ist.
Wie ist das zu verstehen?
In der griechischen Polis wurde eine völlig neue Idee der Ökonomie entwickelt, eine spekulative Marktwirtschaft, ähnlich wie wir sie heute haben. Eine Ökonomie im Sinne des Wortes, eine eigengesetzliche Wirtschaftsweise.
Wie haben sie das gemacht? Indem sie das Eigentum erfunden haben. Eigentumswirtschaft war nun eine vergleichsweise geistige Veranstaltung, das war reale Metaphysik, würde ich sagen. Zuvor gab es ja lediglich Besitzwirtschaft, die sich über den Zugriff auf Ressourcen verwirklichte. Wer die Macht hat, der greift, wonach ihm ist. Eigentumswirtschaft folgt einem anderen Handlungsverständnis. Sie gründet in Dispositionsfreiheit, in uneingeschränkter Dispositionsfreiheit gegenüber Vermögenswerten. Diese können wie Besitz auch verkauft oder sonst wie veräußert werden, oder aber sie werden in eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung investiert. Damit sind wir in der geistig-spekulativen Sphäre.
Über die Eigentumswirtschaft hält also die Wahrheit Einzug in die Wirtschaft. Das ist interessant!
Nehmen wir die Gläubiger-Schuldner-Beziehung, die lässt sich von Aristoteles her aufschlüsseln. Der spricht vom Menschen als zoon logon echon, was von Friedrich Nietzsche als das „Tier, das versprechen darf“ übersetzt wurde. Und damit sind wir mitten in der Wirtschaftspraxis unserer Zeit. Man verspricht sich etwas von sich und erlaubt auch den anderen, sich davon etwas zu versprechen. Das ist ein prämonetäres Kreditverhältnis, das wir alle kennen. Daher haben unsere Eltern uns vielleicht unser Studium finanziert. Und wir sind daher angetreten, etwas aus uns zu machen.
Was man als Philosoph in die Wirtschaft einbringen kann, das ist z.B. ein Blick für diese Versprechensökonomien. Und ein Wissen darüber, was es braucht, dass Versprechen nicht in leeren Versprechen verpuffen. Und die Wurzeln dieser philosophischen Wirtschaftskompetenz liegen in der griechischen Antike.
Läuft dein Vorschlag darauf hinaus, dass der CPO mit dieser Idee der Eigentumsökonomie im Unternehmen wirksam wird?
Durchaus. Da Unternehmer, die ja Eigentümer sind, Besitz und Eigentum oft nicht unterscheiden können. Zum Beispiel bei Vererbungsgeschichten: Da gehen sie nicht spekulativ mit ererbtem Eigentum um, sondern werden zu Besitzstandswahrern. Das führt dann zu unglaublich komplizierten Übergabeverträgen mit vor allem Familienexternen, weil der Erblasser sicher gehen will, dass auch zukünftig genau das getan wird, was er wollte. Das ist ein besitzlogisches Vorgehen, kein eigentumslogisches. Das führt oft zu großen Katastrophen.
Und was hat das dann mit der Wahrheit der Philosophie zu tun? Ist das Einbringen der Eigentumslogik so etwas wie ein Test für die Wahrheit?
Was Wahrheit ist, konkretisiert sich eben darin. Die Wahrheit der Ökonomie z.B. zeigt sich im Gegensatz von Besitz und Eigentum. Dieser Zugang geht den Ökonomen heutzutage ab. Ich habe das in einem Seminar zum Geld an der Universität Witten/Herdecke, an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, erlebt. Was ein Verpfänden oder Belasten des Gläubiger-Besitzes ist, das war den Studierenden nicht wirklich beizubringen. Die hatten so eine Vorstellung, dass da materiell etwas hin und her gehen müsste. Dass das eine rein rechtliche Angelegenheit ist, das war eigentlich nicht zu besprechen.
Wenn z.B. jemand als Schuldner seinen Betrieb belastet, dann kann er mit seinem Betrieb ja weiter arbeiten. Es sei denn der Kreditvertrag wird gekündigt, dann kommt der materielle Austausch zustande. Läuft der Kreditvertrag wie gewünscht, dann ist die alltägliche unternehmerische Praxis davon völlig unbetroffen. Der Gläubiger, der sein Eigentum durch den Kredit belastet hat, kann auch weiter mit seinem Besitz arbeiten. Das ist die Metaphysik, von der ich eben sprach und die, wie das Beispiel zeigt, sehr real ist.
Der Punkt ist: Die entscheidende Grundoperation, von der unsere moderne Ökonomie lebt, ist der Gläubiger-Schuldner-Vertrag, der Kreditvertrag, nicht der Markt.