Nika Wiedinger zur Rolle des Chief Philosophy Officers – ein Auszug aus dem Gespräch
Sören E. Schuster: Wie würdest du aus dem, was du jetzt bereits in unserem Gespräch entwickelt hast, eine Rollenbeschreibung für den CPO machen?
Nika Wiedinger: Ich könnte mir vorstellen, dass der CPO von der Aufgabenstellung her derjenige ist, der sagt, was passiert. Er sagt, was er sieht, wahrnimmt. Alles Weitere ergibt sich von daher, ist die Folge der offenen Wahrnehmung dessen, was gegenwärtig passiert. Im Idealfall hätte er nur präsent zu sein. Im Unternehmensalltag muss die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter ja immer etwas erfüllen, sie ist somit immer schon darüber hinaus bei dem zu erreichenden Ziel und nie einfach nun da, einfach präsent. Der CPO holt diese Aufmerksamkeit in die Gegenwart. Indem er sagt, was ist.
Er hätte eine gänzlich eigene Rolle. Dafür könnte man auch den Begriff der Romantik aus der Schublade ziehen: Seine Aufgabe wäre, sich darüber zu wundern, was es gibt und was passiert. Sich unserer Zeit gemäß zu wundern, ist wahrscheinlich einiges prosaischer als der Begriff Romantik vermuten lässt. Sagen, was ist, Sprachgebung, ist jedenfalls ein starkes Instrument der Prozessgestaltung. Wenn die Mitarbeiter z.B. zu sehr an illusorische Wunschvorstellungen hingegeben sind, dann lässt sich das mit der Methode: „Sagen, was ist“ auf den Boden zurückholen. Das kann sehr hilfreich sein.
Das ist gleichzeitig noch eine recht abstrakte Ebene, die natürlich auch für eine Rollenbeschreibung notwendig ist. Aber wie könnte sich das realisieren in einem Unternehmen?
Vielleicht über einen philosophischen Geschäftsbericht, das wäre dann eine Art Philosophiebericht für das Unternehmen. Dieser wäre nach gewissen Kriterien verfasst und würde zur Qualifizierung beitragen. Vielleicht wäre der Philosoph, der ihn verfasst, Teil der Kommunikationsabteilung und somit auch über den Bericht hinaus im Unternehmen präsent. Seine hauptsächliche Aufgabe wäre jedoch, einmal im Jahr diesen Bericht zu verfassen. Darüber hätten die Menschen, die extern oder intern zum Unternehmen gehören, eine zusätzliche Referenz.
Der Bericht würde Auskunft darüber geben, was eigentlich das Unternehmen will. Nicht die Menschen, die das Unternehmen bespielen, sondern das Unternehmen selbst. Während der Geschäftsbericht, wie wir ihn kennen, ein Zahlenwerk ist, wäre dieser Bericht ein Wortwerk. Und um sicher zu gehen, dass, was darin zur Sprache kommt, kein Mittel zum Zweck ist, müsste er unabhängig vom Zahlenwerkt konzipiert und formuliert werden. Worauf es natürlich entscheidend ankommt, sind die „gewissen Kriterien“. Bewahrheitung wäre eines davon. Momente der Bewahrheitung zu dokumentieren, für einen Philosophen wäre das die richtige Herausforderung.
In diesem Fall wäre es dann schon wichtig, dass der CPO viel mit den Mitarbeitern spricht und dass er generell da ist, oder? Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten der Einbindung von Philosophen in Unternehmen. Läge da auch ein Unterschied zwischen einem internen CPO und einem externen philosophischen Berater?
Das hängt auch ein bisschen von dem Interesse und dem Talent des spezifischen Philosophen ab. Ich würde das davon abhängig machen, wie der Philosoph meint, sich gut einbringen zu können.
Ich z.B. fände es viel spannender, es nicht extern zu machen, sondern eigentlich eine normale Anstellung zu haben. D.h. auch Teil des Mittels zum Zweck zu sein. Meine alltägliche Aufgabe im Unternehmen wäre dann allerdings eine, die ich als CPO frei formulieren dürfte. Und die Aufgabe, die ich wählen würde, wäre eben dieser Unterschied zwischen Fremd- und Selbstzweck, den in irgend einer guten Art und Weise begreifbar zu machen. Z.B. in so einem Bericht.
Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, kleine Veranstaltungsinterventionen mit den Mitarbeitern zu machen, wo auch mal ein anderer Philosoph zur Verstärkung zu Gast sein kann. Da geht es dann aber auch um das Thema Nutz-, Fremd- und Selbstwert. Ich würde das vermittelt über einen kleinen Text vielleicht, ins Gespräch bringen wollen. Das wäre eine Veranstaltung ähnlich wie die Werkstattgespräche, die ja auch am Institut für Wirtschaftsgestaltung stattfinden.
Gäbe es auch einen Vorteil, wenn man einen solchen Philosophen im Unternehmen hat, anstatt auf einen philosophischen Berater zu setzen?
Als angestellter CPO wäre man Leidtragender, wie all die anderen auch. Und doch wäre man in dieser Position freigesetzt, einen Blick auf eben diese Angelegenheit – leidtragend zu sein – zu werfen. Der CPO erlitte so mit den anderen, was schiefgeht. Er ginge dann aber nicht zum business as usual über, wie die anderen, die so in die Prozesse eingebunden sind, dass sie das auch müssen. Er fragte sich: „Was ist schief gelaufen und warum?“ Das ist wieder „sagen, was ist“.
Das wäre die heilsame Position, weil aus dem Involviert-Sein Verwandlung stattfinden kann. Diese Idee steht und fällt damit, wie gut der CPO in die Abläufe des Unternehmens eingebunden wäre, wieviel Vertrauen man ihm und seiner Loyalität dem Unternehmen gegenüber entgegenbringen würde. Man müsste ihn wirklich integrieren. Wenn das der Fall wäre – was für ein Job! Den könnte nicht jeder übernehmen, auch nicht jeder Philosoph. Dazu bräuchte es ein gewisses Selbstverständnis, eine gewisse Bildung und auch Ausbildung. Und es bräuchte die „gewissen Kriterien“. Die Philosophen aus dem Kreis des IfW z.B. hätten die.